aus Dürener Nachrichten vom 20. Oktober 2017
Düren. Jugendliche und Kommunalpolitik: Zwei Welten treffen aufeinander. Zumindest zwei Welten, in denen unterschiedliche Sprachen gesprochen werden. „Politiker drücken sich leider häufig so aus, dass sie nicht verstanden werden, ich nehme mich da nicht aus“, sagt Liesel Koschorreck, SPD-Stadträtin und Erste Stellvertretende Bürgermeisterin. Deshalb will sie aus den zwei Welten am liebsten eine machen. Die „Ampel“-Koalition im Dürener Stadtrat will jungen Menschen Politik vor Ort nahe bringen. Möglichst vielen Mitgliedern des Rates sollen junge Menschen mehrere Wochen über die Schulter schauen. Schüler begleiten die Politiker in Ausschüsse, zu Sitzungen und Veranstaltungen. „So sehen sie, wie das Geschäft funktioniert“, sagt Koschorreck.
Und Politiker sehen, wie Jugendliche ticken, welche Vorstellungen und welche Erwartungen sie von Politik haben. „KidS“ heißt das Projekt, das schon in anderen Städten, beispielsweise in Eschweiler, erfolgreich angeboten wurde.
Jungen interessiert an Projekten
Das weiß auch Daniel Walter. Die junge Generation sei nicht unpolitisch, sagt Walter, 26, Dürener Sozialdemokrat. „Die Jungen interessieren sich schon, nur anders“, sagt Walter, der stellvertretender Vorsitzender der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos im Kreis Düren war und heute die Juso-Arbeitsgemeinschaft von Aachen, Düren, Euskirchen und Heinsberg koordiniert. Walter sagt, dass sich viele Jugendliche „mit dem Brexit, Trump oder Martin Schulz beschäftigen“. Und dass sie auch ein Ohr für kommunale Anliegen hätten, allerdings nicht unbedingt in Parteien, sondern im Rahmen von Projekten. Als in Düren Ideen für die Umgestaltung des Holzbendenparks gesucht wurden, waren junge Menschen eingebunden. „Daraus könnte Parteiarbeit entstehen“, sagt Walter. Es ginge vor allem auch darum, Vorurteile abzubauen.
Liesel Koschorreck hofft, dass ihr Antrag bei den anderen Rats-parteien Gehör findet und alle mitmachen. Im nächsten Schritt soll Werbung für das Projekt „KidS – Kommunalpolitik in der Schule“ gemacht werden. Die Schüler sollen im Idealfall drei Wochen mit den Mehrheitsparteien und drei Wochen mit der Opposition unterwegs sein. Wer welchen Politiker kennenlernt, soll das Los entscheiden.
Dass dabei ein Jugendlicher auch an die AfD geraten kann, ist Liesel Koschorreck bewusst. „Die Partei ist gewählt. Und gewählte Vertreter schließen wir nicht aus.“ Natürlich sei es jedem Schüler freigestellt, welchen Politiker er begleiten wolle – trotz Los. Wer eine Partei ablehne, habe das Recht dazu. Auch das gehört zur Demokratie. (inla)
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20.10.2017
Es braucht mehr als eine Willkommenskultur
Allein die Beteiligung bei der letzten Kommunalwahl spricht Bände: In Düren waren 2014 nur 42 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen zu bringen. Bei der Bürgermeisterwahl ein Jahr später sah es noch viel düsterer aus: Die Wahlbeteiligung lag bei nur noch 36,2 %. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass Jungwähler belegbar am wenigsten zur Wahl gehen, ist zu erahnen, auf wie schwache Resonanz die Kommunalpolitik offensichtlich stößt.
Dass die Parteien auch im eigenen Interesse sehen müssen, wie sie wieder mehr Menschen zur Wahl bewegen, ist unstrittig. Ihre Nachwuchsprobleme sind nicht wegzudiskutieren.
Wer ist heute bereit, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren? Das kostet Zeit und Mühe, sich in die teils komplexen Themen einzuarbeiten. Die Bezahlung ist mau, die Anerkennung und Wertschätzung für die Arbeit manchmal noch mauer.
Allerdings haben es die Parteien oft über Jahrzehnte versäumt, junge Menschen aufzubauen. Bisweilen wurde der Nachwuchs als Konkurrent gesehen und nicht gefördert, sondern verhindert. Junge Menschen wären früher vielleicht noch zu locken gewesen, wenn sie eine gewisse Willkommenskultur gespürt hätten. Heute dürfte selbst das schwierig werden, weil sie sich nachweislich nicht längerfristig an Parteien binden wollen, sondern sich lieber kurzfristig und projektbezogen engagieren. Zum Beispiel in der Flüchtlingsarbeit oder in Umweltprojekten.
Dennoch können und sollen Parteien nicht resigniert die Hände in den Schoß legen. Sie müssen von sich aus versuchen, junge Menschen zu interessieren. Das Projekt KidS ist ein Versuch, den Nachwuchs einzubinden, in dem einfach mal gezeigt wird, wie Kommunalpolitik funktioniert. So würde ein Austausch entstehen, von dem auch – und vor allem – altgediente Politiker profitieren können. Es sei denn, sie wollen die niedrige Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene weiter ignorieren.
- i.latotzki@zeitungsverlag-aachen.de