Es ist normal, verschieden zu sein
Düren. Ist von Inklusion die Rede, geht es oft um die Teilnahme von Kindern mit Handicap am allgemeinen Schulunterricht. Doch das Thema hat viele Facetten. Gestern hat der neue Dürener Inklusionsbeirat seine Arbeit vorgestellt (siehe unten). DZ-Redakteur Stephan Johnen hat Vertreter von Sozial- und Arbeitgeberverbänden nach ihrer Definition von Inklusion gefragt. Über Inklusion wird derzeit viel diskutiert. Was bedeutet Inklusion für Sie? Vor welchen Herausforderungen stehen wir auf dem Weg zur Inklusion?
Jutta Deller
· Die Inklusion ist ein Menschenrecht und damit eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Gleichzeitig ist sie eine Herausforderung an die zivilisierte Gesellschaft. Inklusion bedeutet für mich die Akzeptanz der Menschen in ihrer Verschiedenheit. Sie macht uns menschlicher und kompetenter, denn sie hilft uns, die Menschen von ihren Fähigkeiten und nicht von ihren Defiziten her zu betrachten.
Das Gestalten einer inklusiven Gesellschaft ist ein Generationenprojekt. Es bedeutet vor allem, eine Kultur inklusiven Denkens zu entwickeln. Wenn erkannt wird, dass Inklusion eine Haltungsfrage ist, ist der erste Schritt bereits getan.
Richard von Weizsäcker sagte einmal: Es ist normal, verschieden zu sein! Wenn dies verinnerlicht ist, werden Teilhabe und Selbstbestimmung für alle Menschen erzielbar sein.
Dirk Hucko
· Inklusion bedeutet, es allen Menschen in ihrer jeweiligen individuellen Situation zu ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben umfänglich teilhaben zu können. Neben Menschen mit Behinderungen sind das auch Menschen in besonderen sozialen Notlagen, Flüchtlinge oder ältere Menschen, aber auch Kinder und Jugendliche, denen die gesellschaftliche Teilhabe erschwert ist.
Neben der individuellen Unterstützung des Einzelnen braucht es eine entsprechende Infrastruktur, für die unsere Gesellschaft auch ausreichende Gelder zur Verfügung stellen muss. Damit beispielsweise ältere Menschen lange selbstbestimmt in ihrem gewohnten Wohnumfeld bleiben können, sind Barrierefreiheit im öffentlichen Raum sowie Mobilität wichtige Themen, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.
Lothar Schubert
· Inklusion bedeutet, dass alle Menschen von Beginn an privat, schulisch und beruflich ein gleichberechtigtes, selbstbestimmtes Leben führen können. Das betrifft Menschen mit Behinderung, aber auch Alte und Pflegebedürftige sowie Zuwanderer sollen nicht ausgegrenzt und abgeschoben werden. Dafür brauchen unter anderem Ausbildungsstätten und betreuende Einrichtungen mehr gut qualifiziertes Personal.
Die Herausforderung besteht darin, dass die gesamte Umwelt wie Gebäude, Straßen und Verkehrsmittel, aber auch Haushaltsgeräte und Computersoftware so gestaltet werden, dass sie von allen problemlos genutzt werden können. Die Umsetzung des dafür geplanten Bundes-Teilhabegesetzes erfordert Geld. Deshalb dürfen die versprochenen fünf Milliarden Euro nicht gestrichen werden.
Hans-Harald Sowka
· Inklusion bedeutet, dass schwerbehinderte Menschen aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Das schließt den Zugang zu Arbeitsplätzen und die Teilnahme am allgemeinen Schulunterricht ein. Der Unterricht steht aktuell besonders im Fokus, ist aber nur einer von vielen Aspekten.
Aus der Sicht von Unternehmen ist Inklusion eine erhebliche Herausforderung trotz mannigfacher staatlicher Unterstützung. Ich glaube, dass unsere Mitgliedsunternehmen ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung, schwerbehinderten Menschen eine Chance zu geben, nachkommen. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass der überbürokratische Sonderkündigungsschutz zwar gut gemeint ist, aber die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen nicht fördert. Wir fordern schon lange, diese Bremse zu lockern.
Ulrich Lennartz
· Das Wort bedeutet übersetzt Zugehörigkeit, also das Gegenteil von Ausgrenzung. Wenn jeder Mensch mit oder ohne Behinderung überall dabei sein kann, in der Kita, der Schule, am Arbeitsplatz, im Wohnviertel, in der Freizeit, ist das gelungene Inklusion.
Die große Herausforderung ist es, die Kinder- und Jugendhilfe sowie Kita und Schule so zu gestalten, dass jeder einen Platz hat und dass jeder mit seinen Ressourcen zum Zuge kommt. Beeinträchtigungen sind nicht das Besondere, sondern das Normale. Dass wir auf Hilfe angewiesen sind, ist eine menschliche Konstante. Wir brauchen Ergänzung, Hilfe, Unterstützung. Gespannt darf man sein, wie gerichtliche Auseinandersetzungen ausgehen, wenn mehr Eltern als bisher sich für eine inklusive Bildung entscheiden und das Schulsystem unter Reformdruck gerät.